Rechtstradition ein ganz starkes Stück ostfriesischer Identität.
Ostfriesland hat eigene rechtliche Wurzeln und Traditionen, die sich klar vom übrigen deutschen Raum unterschieden haben. Besonders geprägt wurde die Region durch das Konzept der „Friesischen Freiheit“, das bis heute im Selbstverständnis nachwirkt.
Die Friesische Freiheit – Recht ohne Fürsten
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Zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert galt in Ostfriesland ein einzigartiges System:
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Es gab keine Lehnsherren, keine Fürsten, keine Feudalherrschaft.
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Stattdessen regierten die Friesen sich selbst – mit gewählten Vertretern und eigenen Regeln.
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Motto:
→ „Kein Herr außer Gott.“
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Diese Freiheit war rechtlich organisiert:
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Es gab regionale Versammlungen („Thing“)
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Entscheidungen wurden gemeinschaftlich getroffen
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Jeder freie Mann hatte Stimmrecht – eine frühe Form von Demokratie
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Der Upstalsboom – Symbol und Gerichtsstätte
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Bei Aurich in Rahe liegt der historische Ort Upstalsboom – dort trafen sich ab dem 12. Jh. die Vertreter der sieben friesischen Seelande
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Hier wurde über Recht, Ordnung und Konflikte entschieden – oft ohne Gewalt
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Der Upstalsboom ist heute noch ein Denkmal der friesischen Rechtstradition
Landrechte und Deichrecht
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In Ostfriesland entwickelten sich eigene Land- und Deichrechte, z. B. für:
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Deichbaupflicht (jede Gemeinde war verpflichtet, sich am Schutz zu beteiligen)
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Sielrechte und Wasserverteilung
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Fehnrechte beim Anlegen von Kanälen, Landgewinnung, Torfnutzung
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Viele dieser Regelungen wurden schriftlich fixiert, teils schon im Mittelalter, und gelten in Teilen bis heute – z. B. in Deichverbänden oder Wasserverbänden
Das „Brokmer Landrecht“ (um 1300)
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Eine der ältesten niedergeschriebenen Rechtssammlungen in Norddeutschland
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Kam aus dem Brokmerland (bei Aurich)
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Regelt Eigentum, Erbschaft, Ehe, Strafrecht – aus Sicht freier Bauern, nicht Adliger
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Sehr fortschrittlich für die Zeit, z. B.:
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Gleichheit vor dem Gesetz
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Schutz vor Willkür
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Gemeinwohl über Einzelinteressen
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Nachwirkungen bis heute
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Der Gedanke von Eigenverantwortung, Selbstverwaltung und Gleichheit lebt weiter:
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In Genossenschaften, Deichverbänden, Fehnverwaltungen
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Im Misstrauen gegen „von oben“
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Und in einem starken Gefühl von Rechtsbewusstsein und Gerechtigkeitssinn
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Ostfriesland hat nicht nur seine eigene Sprache, Landschaft und Kultur, sondern auch eine tief verwurzelte Rechtstradition, die auf Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung beruht – lange bevor andere Regionen überhaupt daran dachten.
Plattdeutsch: Friesen hebbt sick sülvst recht geven – un dor stahn se noch achter.
Hochdeutsch: Friesen haben sich selbst Recht gegeben – und stehen noch heute dazu.